[Forum] Zur NTM auf der MV der GWMT AW: NTM-Printausgabe

Ekkehard Schröder ee.schroeder at t-online.de
Mo Sep 21 23:52:38 CEST 2020


Liebe Frau Bleker, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich kann nur dick unterstreichen, was Sie schreiben, auch vor dem Hintergrund eigener jahrzehntelanger herausgebender Tätigkeit im Ehrenamt. In unserem Fach und verwandten Fächern wie die Medizinethnologie, für die ich hier spreche, besteht tatsächlich eine sehr lange Halbwertzeit. Ob der Open Access so lange tatsächlich kostenfrei gegeben ist? Dieser Punkt ist meines Erachtens noch nicht genügend gesichtet. Und die vielschichtig auf die Sinne wirkenden Reize beim Umgang mit Papierlektüre ggf. sogar in der Stille einer Bibliothek beschert Qualitäten, die am ehesten die beurteilen können, die diese Erfahrungen mit dem Lifestyle im Homeoffice am Notebook vergleichen können, wo sicher genauso viele PDFs ungelesen auf die nächste Version des Updates vom Provider warten als ungelesene Papierausgaben, die man noch in 100 Jahren nachlesen kann.

"Seien wir mal ehrlich", greife ich auf: Wie soll am Notebook die Erfahrung der Serendipität sich ereignen können? Und die Neurowissenschaften entdecken immer neue Hinweise für das tatsächliche Funktionieren von Kreativität. 

Ja, man kann sich an dem Wort Deal stören mit seiner vielschichtigen Konnotationen, aber gewichtige Bedenken beim Umgang mit Vertretern der grossen transnationalen Stakeholder, zu denen Springer nun mal gehört, als eine blosse Attitüde von Widerstand - ja irgendwie - abzuqualifizieren, ist doch wohl etwas zu kurz gesprungen. Die Bedenken sind doch eine Voraussetzung auch auf dem Weg zu guten Lösungen. Die bestehen freilich nicht auf der Hoffnung vom Einsteigen von Kleinverlagen, die einfach die hohen DOI-Gebühren für eine e-Zeitschrift nicht aufbringen, während ein Grossverlag die DOI-Gebühr im Hundertpack sehr preiswert bekommt und so weiter. Und wenn ein wackerer Real-Aktivist in diesem Sinne unter ungünstigen Voraussetzungen im Knast landet, ist ihm wahrscheinlich der Zugang zum Internet verwehrt, nicht aber dem zu Papier. 

Von Stromausfällen möchte ich gar nicht sprechen, wie sind es einfach gewöhnt, in friedlichen Zeiten und mit schnellem Internet zu leben. Ist aber nicht selbstverständlich in vielen Teilen der Welt. Und die Ökobilanz des Internet, ... naja Krisengerede ist vielleicht auch nur eine Attitüde. Und was die Augen mal machen bei der Dauerüberreizung am PC, das wissen wir noch nicht.  

40 Zuschriften hier ungefähr ein wenigen Tagen, das ist ein fantastisches Ergebnis. Da sollte auch nicht gegen sogenannte schweigende Mehrheiten geätzt werden. Das Verhalten kann auch ganz anders interpretiert werden. Die Briefe lassen sich in einige Trends einordnen Das möchte ich nicht 600 Mal gelesen haben. 

Für mich zeigt sich ein deutliches Votum, zweigleisig zu fahren. Dafür gibt es gute Modelle, auch für das Entgelt von redaktionellen Arbeiten, die das Ehrenamt überschreiten oder nicht zu den üblichen und eigentlichen bekannten Ehrenamtsmerkmalen gehören. Gelesen hab ich indes keine Andeutung eines Voranschlages. Und dabei wäre der Erhalt der Gemeinnützigkeit der Gesellschaft mit zu bedenken und die Frage, ob da auch Satzungsänderungen nötig werden können. Also, bei so guter Hefe bislang muss an Ganze wohl noch etwas länger gären. Ich wünsche, dass sich die MV  für den Erhalt von Beidem entscheidet. Es wäre schade um den Verzicht der Vorteile des je anderen.

Da nun der Herbst mit dem Merkmal "Ernte einfahren" gekommen ist, wünsche ich nach den Sommernacht-Träumen auch mit brüllenden Löw/innen und schweigenden Philosoph*innen eine fröhliche ideenreiche MV und verbleibe mit besten Grüssen

Ekkehard Schröder

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-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Forum <forum-bounces at gwmt.de> Im Auftrag von Johanna Bleker via Forum
Gesendet: Freitag, 18. September 2020 16:22
An: forum at gwmt.de
Betreff: [Forum] NTM-Printausgabe

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als langjährige geschäftsführende Herausgeberin des Medizinhistorischen Journals, weiß ich wieviel Arbeit in jedem publizierten Heft steckt.
Finde aber, dass sich diese Arbeit lohnt! Deswegen möchte ich den guten Argumenten für die Beibehaltung der Printausgabe unbedingt beipflichten.
Ein bislang weniger genannter Aspekt ist, dass das rein digitale Arbeiten methodische Schwachstellen hat.

Natürlich bedeutet die digitale Verfügbarkeit der neuesten Ergebnisse eine große Erleichterung für die gezielte und effiziente Bearbeitung historischer Fragen. Allerdings nur, sofern eindeutige Begriffe, Namen und Zitate bereits zur Verfügung stehen. Wenn aber solche Vorarbeiten nicht vorhanden sind, wird die digitale Engführung zum Handycap. Auch Begriffswechsel oder Bedeutungsveränderungen werden zu Stolperfallen.
Beim Durchblättern eines Zeitschriftenheftes bleiben dagegen für den Moment nutzlose Informationen (sozusagen als Beifang) hängen, die sich in neuen Kontexten als nützlich erweisen können. So wie bei einer Präsensbibliothek auch benachbarte Bücher ins Blickfeld geraten, bringt ein analoges Heft Aspekte, die über den augenblicklichen Horizont hinausführen ins Spiel. Das ist zunächst einmal unökonomisch aber dafür fruchtbar.

Zudem: Anders als in der naturwissenschaftlich geprägten Forschung sind wissenschaftshistorische Artikel nicht in kürzester Zeit überholt. D.h.
es lohnt sich, wenn man auch auf mehr als 3 Jahre zurückliegende Artikel problemlos und kostenfrei zugreifen kann.  Ob die dann im eigenen Bücherregal stehen oder in einer öffentlich zugänglichen Bibliothek ist gleichgültig. Doch beim gegenwärtigen Sachstand kann nur die Anschaffung einer Papierversion eine langfristige Verfügbarkeit garantieren.
Deswegen müssten zumindest für Institute und Bibliotheken eine Printversion angeboten werden.

Und schließlich: Der Inhalt einer publizierten Zeitschrift erschöpft sich nicht in den wissenschaftlichen Artikeln. Rezensionen, Personalnachrichten, Herausgeberwechsel, Veränderungen des Schriftbildes etc. können für Historiker wichtige Informationen enthalten. In älteren Zeitschriften sind diese Elemente meist schon bei der Retrokonversion ausgemustert worden, also nur über die Printausgabe greifbar. Wenn wir keine Printausgabe mehr herstellen, weerden spätere Forscherinnen und Forscher gänzlich auf diese Quellen verzichten müssen.

Ich drücke der Fortexistenz der NTM die Daumen

Johanna Bleker

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Dr.med.Johanna Bleker
Professorin für Geschichte der Medizin i.R.
Ringstr. 30, 12205 Berlin  Tel.:+4930 8337723 / 0160 91088 584

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